In diesen Tagen machen wir uns Gedanken, die wir uns schon lange nicht mehr gemacht haben. Etwa über den hübschen Bankenwerbespruch „Lassen Sie Ihr Geld arbeiten“. Das ruft angenehme Bilder von grünen Geldscheinzwergen hervor, die mit Hammer und Schaufel ins Bergwerk einfahren, mit Goldklumpen zurückkehren und diese in unserem Depot deponieren. Und das alles, während wir Cocktails schlürfend am Swimmingpool sitzen.
Abgesehen davon, dass die Hälfte der deutschen Bevölkerung gar nicht mehr genug Geld auf der hohen Kante liegen hat, um es gewinnbringend zur Arbeit antreiben zu können, war die Metapher immer falsch: Arbeiten können nur Menschen, Tiere oder Maschinen. Darüber haben wir lange nicht mehr nachgedacht.
Geld vermehrte sich offenbar virtuell; es schien, als müssten nur ein Optionsschein und ein Derivatschein miteinander ins Börsenbett, um viele neue Geldscheine zu gebären, und das dauerte keine neun Monate, sondern manchmal nur neun Minuten oder Sekunden. Fast niemand wusste, was die Banken mit den Geldern anstellten, die wir treu deponierten, aber solange die fünf oder zehn oder 20 Prozent-Prämie gutgeschrieben wurde, hat uns das auch nicht gekümmert.
Wer fragt, woher das Essen kommt?
Dazu drängt sich die Parallele „Essen“ auf: Wer fragte schon, woher es kam und wie es entstand, solange die Supermarktregale gefüllt waren? Das hat sich geändert. Plötzlich spielt es eine Rolle, ob Hühner glücklich picken und Kühe auf der Weide grasen oder Gänse gestopft werden oder Frösche ihre Schenkel verlieren.
Das ist erfreulich für Hühner, Kühe, Gänse und Frösche. Doch vielleicht beginnt nun, unter dem Eindruck des Schocks auch die Diskussion um artgerechte Menschenhaltung. Denn die Finanzkrise ist nur oberflächlich eine des Geldflusses und der Immobilien- und Kreditkartenblase. In ihrem Kern ist sie eine Krise der Methoden, wie Einzelne auf Kosten von Gemeinschaften Gewinne erzielen.
Vor drei Jahren spähte der Dokumentarist Erwin Wagenhofer mit „We Feed the World – Essen global“, wie er sagte, „unter den Rock des Lebensmittelmarktes“. Nun lüftet er mit „Let’s Make Money“ die Säume des Geldmarktes. Er tut dies mit kindlich einfachen Fragestellungen: Was geschieht mit unserem Geld, wenn wir es aufs Konto eingezahlt haben? Was sind die Kanäle, und wohin führen sie? Wenn es noch nie soviel Geld gab wie heute, warum haben wir dann so wenig davon?
Wolkenkratzer in London
Die Suche führt in die Londoner City mit ihren Bankenwolkenkratzern und zu dem Gebäudeblock namens World Bank in New York. Ein Michael Moore hätte nun dem Weltbankpräsidenten aufgelauert, aber der Österreicher Wagenhofer ist weniger exhibitionistisch, hält es mehr mit dem klassischen Dokumentarstil und lässt Leute reden.
In einem Taxi erläutert der Finanzökonom John Christensen, warum sich die Finanzmacht ballt: weil die britische Regierung in den Siebzigern die Kontrollen über die Banken drastisch reduzierte und Steuerparadiese auf den Kanalinseln öffnete. Dann spaziert Christensen am Strand von Jersey entlang und erklärt, wie ein großer Teil des Welthandels seine Gelder so lange durch Tarnfirmen in den Steueroasen schickt, bis deren Herkunft nicht mehr zu ermitteln ist.
So verfolgt Wagenhofer den Strom des Geldes über alle Grenzen, und er findet überall erstklassige Player, die gerne reden, ohne jegliches Zweifeln an ihrem Tun. Mark Möbius, Verwalter von 50 Milliarden Dollar im Templeton-Privatfonds, glaubt nicht, „dass ein Investor verantwortlich ist für die Ethik, für die Verschmutzung oder das, was eine Firma verursacht, in die er investiert“.
John Perkins, früher „Wirtschaftskiller“ für die US-Regierung, beschreibt seinen Beruf, in dem es darum geht, erst Entwicklungsländer durch Kredite für riesige Infrastrukturprojekte in Abhängigkeit zu bringen, dann die Schulden durch billige Rohstofflieferungen und Kürzungen bei Sozialausgaben abstottern zu lassen – und wenn die Regierung doch nicht kuscht, wird der Präsident umgelegt. „Nur in ganz seltenen Fällen“, fügt Perkins beruhigend hinzu, „müssen wir das Militär schicken.“
Wagenhofer deckt die Grundlagen auf
Wagenhofer folgt nicht nur dem Geruch des Greenback um den Globus, er spürt auch den theoretischen Grundlagen des Neoliberalismus nach. Dessen Wiege findet er auf dem schweizerischen Mont Pelerin, wo sich kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 36 Intellektuelle trafen, die nicht in die Politik gehen wollten, sondern die Politik mit ihren Ideen durchdringen. Zu ihren glühendsten Anhängern wurden Jahrzehnte später Ronald Reagan und Margaret Thatcher.
So wird „Let’s Make Money“ – theoretisch und praktisch – zum roten Faden, in dem für Normalbürger scheinbar unentwirrbar komplizierten Knäuel wirtschaftlicher Zusammenhänge. Die meisten Medien im Finanzkrisenherbst 2008 bemühen sich so redlich wie vergeblich, ihren erschreckten Nutzern zu erklären, was um sie herum geschieht. Diese Vergeblichkeit hat viel damit zu tun, dass sie sich in Details und Fachbegriffen – Subprime, Private Equity, asset-backed – verlieren.
Wagenhofer fährt stattdessen mit der Kamera zurück, und plötzlich sehen wir statt dem Detail das gesamte Gemälde. Es gibt viele redende Köpfe in „Let’s Make Money“, aber das ist kaum zu vermeiden – und was sie zu sagen haben, klingt oftmals ungeheuerlich.
Trotzdem hat Wagenhofer einen Film speziell fürs Kino gemacht. Zum einen nötigt er den Zuschauer, 110 Minuten sitzen zu bleiben – und nicht ungeduldig vom Wohnzimmersessel aufzuspringen, wenn die Chose etwas komplizierter zu werden droht. Zum anderen wird bei ihm etwas, was sich anscheinend nur im virtuellen Raum abspielt, wieder mit den Händen greifbar.
Die ruhigste Sequenz ist denn auch die filmisch eindrucksvollste: Minutenlang fliegt die Kamera nur über riesige Neubaugebiete an Spaniens Costa del Sol, Geisterstädte, in denen nie jemand wohnen wird, aus dem Boden gestampft zur Erfüllung von Renditeversprechungen, finanziert mit dem Geld, das wir unseren Banken anvertraut haben und diese einem Investitionsfonds und dieser einem zweiten und dieser den Immobilienhaien. Auch unsere Gier hat die Krise genährt.